Ich will, dass die Welt von uns weiß

Weil er für eine unabhängige
Westsahara eintritt, wurde Mustapha
Abdeddaim in marokkanischen
Gefängnissen misshandelt.
Jetzt will er die Welt aufrütteln
Von Elisa Rheinheimer

Saharaui. Seit fast vierzig Jahren verlangt
dieses Wüstenvolk seinen eigenen Staat.
Nachdem die spanischen Kolonialherren
1975 abgezogen waren, besetzte Marokko
die Westsahara. Die UNO verspricht den
Saharauis schon seit 1991, in einem Referendum
über den Status Westsaharas abstimmen
zu dürfen. Doch darauf warten sie
noch immer – größtenteils im algerischen
Exil, wo Hunderttausende Menschen in
Flüchtlingslagern leben.
In einem Café in Frankfurt erzählt der
kleingewachsene Mann mit der dunklen
Haut und den durchdringenden Augen
vom Leid seines Volkes, von Phosphorbomben,
die König Hassan II. 1978 auf die
Saharauis abwerfen ließ, von brennenden
Zelten und sterbenden Menschen im Lager
Gdeim Izik im Oktober 2010 und von
der 2700 Kilometer langen Mauer quer
durch die Wüste. Er erzählt auch von einer
jungen Frau, die entführt wurde. Das zwei
Monate alte Baby entriss man ihr und ließ
es zurück. Das Kind starb.
Das sei kein Einzelfall, betont Abdeddaim.
»Aber wisst ihr von diesen Gräueltaten?
Wird in euren Zeitungen darüber berichtet?
« Er fragt es nicht anklagend, sondern
spricht ruhig und besonnen. Nur
wenn er auf Arabisch seine Texte vorliest,
hört man den Schmerz in seiner Stimme.
Er schreibt über die Saharauis, weil es sonst
keiner tut. Während er vorliest, streicht er
sich immer wieder mit der Hand über das
Gesicht; er sieht erschöpft aus.
Er sagt, dass er den Krieg hasst und mit
Worten gegen das Unrecht kämpft. Doch
viele junge Saharauis seien gewaltbereit.
Drei Tage lang muss der Mann aus der
Sahara in der fensterlosen Zelle aufrecht
stehen. Ein leerer Raum, zwei
Mal zwei Meter groß, in dem es bestialisch
stinkt. Die Hände sind Mustapha Abdeddaim
hinter dem Rücken zusammengebunden.
72 Stunden steht er da, nackt, die
Beine verkrampft, die Kehle trocken. Einzige
Erleichterung dieser schrecklichsten
Tage seiner Gefängnishaft in Marokko:
Fünf Minuten lang darf er die Stirn gegen
die Wand lehnen.
Mit friedlichen Mitteln kämpft Mustapha
Abdeddaim für ein Selbstbestimmungsrecht
seines Volkes – der Saharauis –
und die Unabhängigkeit der Westsahara
von Marokko. Bei einer Lesereise durch
Deutschland erzählt der Autor von der Folter,
die er im Gefängnis erlitten hat. »Ich
will, dass die Welt weiß, was mit uns Saharauis
geschieht«, sagt er mit Nachdruck.
Der 51 Jahre alte Mustapha Abdeddaim
wurde in der marokkanischen Stadt Salé geboren.
Er besitzt einen marokkanischen Pass
und ist dennoch kein Marokkaner, sondern
»Die fragen: Sollen wir noch mal dreißig
Jahre in Flüchtlingslagern leben ohne eine
Zukunft?«
Der saharauische Freiheitskämpfer hat
Philosophie und Arabistik studiert und war
Direktor eines Gymnasiums. Schon früh
begann er, sich für die Menschenrechte und
die Selbstbestimmung seines Volkes zu engagieren.
Seit 2006 veröffentlicht er Kurzgeschichten
und dokumentiert als Journalist
das Leben der Saharauis. Schonungslos
kommentierte er auch die Unantastbarkeit
des marokkanischen Königs – und wurde
daraufhin verhaftet. »Aber verurteilt wurde
ich nie.« Dafür misshandelt und in fünf
verschiedene Gefängnisse gesteckt. Dort
hat er geschrieben und seine Texte hinausgeschmuggelt.
Seit er aus dem Gefängnis entlassen wurde,
darf er nicht mehr als Lehrer arbeiten. Er
wird von Exil-Saharauis finanziell unterstützt.
»Wir sind ein sehr solidarisches
Volk«, erklärt Abdeddaim und faltet die
Hände vor dem Bauch. Doch glücklich ist er
damit nicht, und Angst hat er auch. Was
passiert, wenn er nach Marokko zurückkehrt?
Möglich, dass er erneut verhaftet
wird. »Man gewöhnt sich an die Probleme,
die Diskriminierung. Aber jetzt, wo meine
Frau und ich ein Kind erwarten, wird es
noch schwieriger.« Dennoch kämpft er weiter
für seine Freiheit und die seiner Landsleute.
»Wir müssen diesen Weg weitergehen,
das sind wir unseren Kindern schuldig. Aber
wir müssen Opfer bringen.« Sein Wille zum
Widerstand – einem Widerstand durch
Worte – ist ungebrochen: »Ich habe immer
noch den Glauben und die Hoffnung, dass
die Welt dieses Unrecht sieht und uns dabei
hilft, unsere Freiheit zu erlangen.«

.Westsahara im Jahre 2010:
Marokkanische Truppen stürmen ein
Zeltlager der Saharauis, die gegen die
Besetzung durch Marokko protestieren

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